Umbenennung der Straße Am Heddernheimer Gaswerk in Landsbergstraße und Benennung einer Kindertagesstätte nach Anna Landsberg
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Initiative vom 05.12.2024, OI 84 entstanden aus Vorlage: OF 505/8 vom 05.12.2024 Betreff: Umbenennung der Straße Am Heddernheimer Gaswerk in Landsbergstraße und Benennung einer Kindertagesstätte nach Anna Landsberg Vorgang: M 214/18; Beschl. d. OBR 8, § 3367/18 1. Der Beschluss des Ortsbeirates vom 29.11.2018, § 3367, wird aufgehoben. 2. Die im amtlichen Straßenverzeichnis der Stadt Frankfurt als Nr. 3755 verzeichnete Straße Am Heddernheimer Gaswerk im Neubaugebiet An der Sandelmühle wird nach Anna und Heinrich Landsberg in "Landsbergstraße" umbenannt. Die zum Zeichen 437 StVO anzubringenden Legendenschilder sollen auf Vorder- und Rückseite jeweils das Kurzbiogramm eine der beiden Personen zeigen, sodass für die Biografiedaten beider Eheleute ausreichend Platz ist. 3. Die im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 889 An der Sandelmühle vorgesehene Kindertagesstätte erhält den Namen "Kinderzentrum Anna Landsberg". Das Ehepaar Anna und Heinrich Landsberg ist eng mit der Geschichte der Heddernheimer Kupferwerke verbunden. Zu Heinrich Landsberg (1860-1941) vermerkt das Hessische Wirtschaftsarchiv (HWA) in Darmstadt in einer Übersicht zum Aktenbestand 182 "Heddernheimer Kupferwerke": "Unter der Leitung der neuen Direktoren Heinrich Landsberg und Hubert Hesse jr. wurden seit 1901 die Werksanlagen umgebaut: Eine neu errichtete Kraftzentrale ersetzte die zahlreichen Dampfmaschinen, das Warmwalzwerk wurde durch ein Plattenwalzwerk modernisiert sowie eine neue Kaltwalzenstraße, eine Blockwalzenstraße, eine Rohrzieherei sowie ein Bandwalzwerk errichtet. Parallel dazu wurde auch die technische und kaufmännische Organisation neu gestaltet. Nachdem das Unternehmen 1905 die Aktienmehrheit an der Süddeutschen Metall-Industrie GmbH in Nürnberg erworben hatte, fusionierte es im Jahr 1909 mit den Süddeutschen Kabelwerken in Mannheim (...) zur ‚Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutschen Kabelwerke AG'." Nach dem Ersten Weltkrieg ist die bisher auf Kupfer und Aluminium spezialisierte Fabrikation noch einmal erweitert worden um Leichtmetalle, die im Flugzeug- und Autokarosseriebau wichtig waren. Es erscheint zweifellos, dass die Kupferwerke unter der Direktion von Heinrich Landsberg einen wichtigen Aufschwung nahmen und die Grundlagen geschaffen wurden für den späteren Großbetrieb, der ab 1930 Teil der Vereinigten Deutschen Metallwerke AG (VDM) war. Im Frankfurter "Buch der Stadt" von 1927, das Landsberg mit einer Fotografie bereits als "Generaldirektor a. D." vorstellt, sind Ämter aufgezählt, die er zu diesem Zeitpunkt noch ausübte: "Mitglied des Geschäftsführer-Kollegiums der Heddernheimer Kupferwerk und Süddeutsche Kabelwerke G.m.b.H., Mitglied des Präsidiums des Verbandes Mitteldeutscher Industrieller e.V. Sitz Frankfurt a. M., Mitglied des Hauptausschusses des Reichsverbandes der deutschen Industrie." Weiterhin gehörte er dem Aufsichtsrat der Metallbank und der Metallurgischen Gesellschaft, der späteren "Lurgi", an. Als wohl gut situierter, angesehener Bürger erscheint er seit 1913 im Mitgliederverzeichnis der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft. Noch bis zum Sommersemester 1933 war Landsberg zusammen u. a. mit Richard Merton im Prüfungskomitee der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Goethe-Universität. Aus den Stellungnahmen des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) an das Stadtvermessungsamt vom 10.09. und 11.11.2024 geht hervor, dass Heinrich Landsberg als Opfer der NS-Rassengesetze angesehen werden muss. Im HWA gibt es ergänzend dazu eine Akte (Best. 118 Nr. 1490), die belegt, dass die inzwischen gleichgeschaltete VDM Landsbergs Pension kürzte und ihn "aufgrund seiner jüdischen Herkunft" noch wenige Wochen vor seinem Tode aus seiner Wohnung im Stadtteil Bockenheim drängen wollte. Heinrich Landsberg starb in dem bereits von der Stadt Frankfurt im Zuge der "Arisierung" de facto beschlagnahmten Krankenhaus der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße. Sein Bruder, Julius Landsberg, früher ein angesehener Richter am Frankfurter Oberlandesgericht, wählte 1942 - gesellschaftlich ausgegrenzt, stigmatisiert und von Deportation bedroht - den Freitod. Die Angehörigen von Heinrich Landsberg haben in der Nachkriegszeit vergeblich versucht, vom Magistrat auf juristischem Wege eine Entschädigung zu erhalten für die Wertgegenstände, die Heinrich Landsberg nach 1938 im Zusammenhang mit der "Judenvermögensabgabe" bei der städtischen Pfandleihanstalt völlig unter Wert abliefern musste. Die Ehefrau von Heinrich Landsberg, Anna Landsberg geb. Reiss (1868-1925), erwarb sich den o. a. Stellungnahmen des ISG zufolge in Frankfurt hohe Verdienste um die freie Wohlfahrtspflege. Mit weiteren Mitstreiterinnen gründete sie 1905 das "Wöchnerinnen- und Säuglingsheim Battonnstraße" und leitete den Trägerverein als erste Vorsitzende bis zu ihrem viel zu frühen Lebensende. Aktiv war sie auch im Vorstand der Frankfurter Ortsgruppe des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" und der "Freien Arbeitsgemeinschaft für private Jugendpflege und Jugendfürsorge", die zu den großen Trägerverbänden der freien Wohlfahrtspflege in Frankfurt gehörte. Dem von diesem bürgerlich orientierten freien Träger geführten Hort und Kindergarten im Gemeindehaus der Thomaskirche in Heddernheim galt ihr besonderes Augenmerk. Er überstand die Inflation 1923 vor allem durch private Spenden, um die sich Frau Landsberg gekümmert hat. Wegen Eigenbedarfs der Kirchengemeinde musste die Einrichtung 1924 dennoch verlegt werden, und es gelang, dafür die heute noch als Kinderhort genutzten Räume im Heddernheimer Schloss von der Stadt zu erhalten. Die gesamte Einrichtung (ab 1929 in rein städtischer Hand) ist zu einem leider unbekannten Zeitpunkt, aber sehr wahrscheinlich recht bald nach dem Tode der engagierten Frau, als "Anna-Landsberg-Heim" benannt worden. Sehr bemerkenswert ist überdies, dass Anna Landsberg 1919 mit der Einführung des Frauenwahlrechts als eine von elf Frauen in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde. Das lässt sie deutlich hervortreten aus den typischen Tätigkeitsfeldern von Ehefrauen der vermögenden Männer dieser Zeit. Sie gehörte - wie ihr Ehemann - der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) an und wurde bei den Kommunalwahlen 1924 wiedergewählt. Sie nutzte mehrfach den Schulausschuss, um die Situation in den Kindergärten und Horten zum Thema zu machen. Die Plenarprotokolle dokumentieren weitere Anträge und Redebeiträge zu gesundheits-, sozial-, frauen- und steuerpolitischen Angelegenheiten. Wie aus den Frankfurter Schulamtsakten hervorgeht, erhielt der Befehlshaber der US-Army in Frankfurt 1948 einen Brief aus den USA von einem Neffen des kinderlos gebliebenen Ehepaars Landsberg, in dem dieser darum bittet, den in der NS-Zeit entfernten Namen seiner Tante an dem Heddernheimer Kindergarten wieder anzubringen. Diesem Ersuchen folgte der Magistrat damals nicht, weil das Schloss für die Wiederinbetriebnahme des Kindergartens zu stark kriegsgeschädigt gewesen sei. Heute, mit der Benennung der Erschließungsstraße für das Wohngebiet in Verbindung mit der neuen Kindertagesstätte für Heddernheim auf dem früheren Areal der Kupferwerke, kann die Stadt Frankfurt mit dem Gedenken an diese beiden Persönlichkeiten eine kleine Wiedergutmachung leisten. Das Desiderat weiterer Nachforschungen zu ihren Biografien bleibt dabei bestehen. Antragstellender Ortsbeirat: Ortsbeirat 8Versandpaket: 11.12.2024